dimanche 11 juillet 2010

Menschliches Verhalten in extremen Situationen: der Untergang der Titanic


In der Ökonomie wird davon ausgegangen, dass das menschliche Verhalten durch Anreize bestimmt wird. Individuen reagieren auf relative Preisänderungen und richten ihre Handlungen an den vorhandenen Restriktionen aus. Doch spielen diese Mechanismen auch in extremen Situationen, in denen sich – so könnte man argumentieren – die „wahre Natur des menschlichen Wesens“ offenbart, eine Rolle?

Diese Frage versuchten Forscher um Bruno S. Frey mit Hilfe einer empirischen Studie zu klären. Dabei sollte mit ökonometrischen Methoden untersucht werden, welche Faktoren einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit den Untergang eines Schiffes zu überleben haben. Durch die simultane Betrachtung dieser Faktoren kann die Wirkung einer einzelnen Variablen ceteris paribus – d. h. alle anderen Faktoren bleiben konstant – identifiziert werden.

Betrachtet werden die gut dokumentierten Katastrophen an Bord der Titanic (1912) sowie der Lusitania (1915), bei denen jeweils ungefähr zwei Drittel der Passagiere starben. Trotz vieler Ähnlichkeiten zwischen den beiden Unglücken können die Forscher unterschiedliche Einflüsse auf die Wahrscheinlichkeit zu überleben festhalten: Beim Untergang der Titanic haben soziale Normen („Frauen und Kinder zuerst“) sowie der soziale Status der Passagiere eindeutig einen Einfluss. Auch zwischen verschiedenen Nationalitäten werden unterschiedliche Überlebensraten gefunden, wohingegen die physische Kraft keinen Vorteil bringt. Beim Untergang der Lusitania spielen Klassenunterschiede und Geschlecht keine grosse Rolle. Als wichtigster Einfluss auf das Überleben tritt bei dem Unglück klar die physische Kraft hervor, da Menschen im Alter zwischen 16 und 35 Jahren einen eindeutigen Vorteil haben.

Wie können die Forscher diese Resultate erklären? Aus ihrer Sicht spielt die unterschiedliche Zeitrestriktion, welche bei den beiden Unglücken herrschte, die grösste Rolle: Die Titanic sank langsam während 2 h 40 min, wobei lange nicht klar war, ob das Schiff wirklich untergehen würde. Aus diesem Grund brach nicht sofort eine Panik an Bord aus und die sozialen Normen sowie der soziale Status der Passagiere spielten weiterhin eine Rolle. Der Untergang der Lusitania, welche teilweise explodierte, dauerte hingegen nur etwa 18 min. Im ausbrechenden Chaos wurden Normen und Status nicht mehr beachtet und die Menschen kämpften eigennützig um ihr Leben. Die physische Kraft sowie die Fähigkeit zu schwimmen bestimmten die Wahrscheinlichkeit zu überleben. Die Forscher können somit zeigen, dass auch in Krisensituationen das Verhalten der Menschen von den vorhandenen Restriktionen – der Zeit bis zum Untergang – bestimmt wird.

Die Ergebnisse der Studie müssen allerdings kritisch hinterfragt werden: Da bisher nur zwei Katastrophen untersucht und miteinander verglichen wurden, sind die gefundenen Resultate nicht wirklich generalisierbar. Ein weiteres Problem stellt zudem die Möglichkeit dar, dass bei der ökonometrischen Analyse der Katastrophen eine wichtige Variable übersehen und damit nicht isoliert wurde. Dadurch würde die ceteris paribus-Annahme verletzt und es könnte zu starken Verzerrungen der Ergebnisse kommen. Ein zusätzlicher Kritikpunkt besteht darin, dass das Verhalten der Passagiere nur ex post erklärt wird und es möglich wäre andere Erklärungen für die beobachteten Unterschiede anzuführen.

Trotz dieser Kritik hat die Studie auf Grund der neuartigen Idee der Anwendung des ökonomischen Ansatzes zur Erklärung des menschlichen Verhaltens während eines Schiffsunglücks grossen wissenschaftlichen Erfolg. Unbeachtet einiger Mängel bezüglich der wissenschaftlichen Präzision ist die Studie von grosser Relevanz und bietet einen möglichen Anknüpfungspunkt für vertiefte Forschungen.

(Bild: "Lusitania", Quelle: wikipedia.org).

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